Literatur

Lebensliteratur

 
 

Literaturempfehlungen
von Otto Gehmacher

Palliative Care_Vorarlberg_janko-ferlic-sfL_QOnmy00-unsplash.jpg
 

Eva Menasse (2021): „Dunkelblum“
Kiepenheuer & Witsch

 „In Dunkelblum haben die Mauern Ohren, die Blüten in den Gärten haben Augen, sie drehen ihre Köpfchen hierhin und dorthin, damit ihnen nichts entgeht, und das Gras registriert mit seinen Schnurrhaaren jeden Schritt. Die Menschen haben immerzu ein Gespür. Die Vorhänge bewegen sich wie von leisem Atem getrieben. Ein und aus, lebensnotwendig. Jedes Mal, wenn Gott von oben in diese Häuser schaut, als hätten sie gar keine Dächer, wenn er hineinblickt in die Puppenhäuser seines Modellstädtchens, das er zusammen mit dem Teufel gebaut hat zur Mahnung an alle, dann sieht er in fast jedem Haus welche, die an den Fenstern hinter ihren Vorhängen stehen und hinausspähen. Manchmal, oft, stehen auch zwei oder sogar drei im selben Haus an den Fenstern, in verschiedenen Räumen und voreinander verborgen. Man wünschte Gott, dass er nur in die Häuser sehen könnte und nicht in die Herzen.“

So beginnt Eva Menasses viel gelobter Roman „Dunkelblum“ , der an einem fiktiven Ort im Burgenland, im Osten Österreichs an der Grenze zu Ungarn spielt. Es ist das Jahr 1989, als es zur Öffnung des eisernen Vorhangs kommt, und immer mehr Flüchtlinge aus der DDR über die ungarische Grenze fliehen. In vielen miteinander verwobenen Erzählsträngen lernt man die unterschiedlichsten Menschen des Dorfes kennen, die Weinbauern, den Besitzer eines Reisbüros, der eine Stadtchronik schreiben will, den Bürgermeister, die Besitzerin des Hotels etc. Ihnen allen gemeinsam ist, dass ihre Geschichte in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreicht. Ein dunkles Geheimnis umgibt die Dorfgemeinschaft, jeder verdrängt seinen Anteil an dem Geschehen, um moralisch bestehen zu können.

  • Am Anfang braucht der Leser Zeit und auch Muße, sich diesem ganz eigenen Erzählstil anzupassen. Da ist einerseits ein feiner, ironischer Unterton, mit dem die handelnden Personen charakterisiert werden, andererseits ist es die ganz besondere Sprache die gespickt ist mit Austriazismen wie z.B. Tschopperl – gutgläubiges etwas naives Wesen, oder Krispindel- kleine schlecht ernährte Gestalt. Irgendwann ist man dann jedoch gefesselt von diesem Kunst-Dialekt, der die Dorfgemeinschaft in ihrer Verschwiegenheit vereint, man ist berührt von den Geschehnissen in Dunkelblum und erschüttert von den tragischen Einzelschicksalen. Die Autorin verwehrt sich dem moralisierenden Blick aus der Jetzt Zeit, erkennt selbst im tiefsten Abgrund noch den Witz und schafft es ihre Figuren authentisch und plastisch werden zu lassen.

    Historische Parallelen gibt es zu dem Ort Rechnitz im Burgenland, wo die SS Leute und Kollaborateure mit der Gräfin Margit BatthyanyThyssen im Schloss ein Fest feierten und im Anschluss 220 jüdische Zwangsarbeiter ermordeten. Ähnliche Massaker kamen in über 100 Gemeinden entlang des gegen Kriegsende errichteten Südostwalls, vor, sodass Dunkelblum eine Chiffre für diese oft verschwiegenen und nicht aufgeklärten Gewalttaten darstellt.

    Was ist die Wahrheit? Wer schreibt die Geschichte?

    „Manchmal, sehr selten, reicht eine individuelle Entscheidung um die Geschichte in eine andere Richtung zu lenken. Aber in den seltensten Fällen hat jemand genug Überblick, um nachher die anderen möglichen Varianten noch zu erkennen und nicht nur das, was Tatsache geworden ist, für folgerichtig zu halten.“

    „Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gewissen.“

    Auch wenn man vielleicht den Eindruck gewinnt, es ist die „typisch österreichische Seele“ die hier beschrieben wird, greift dieser herausragende Roman doch weiter. Die Eigenschaft, sich die Geschichte so zurecht zu rücken, dass man moralisch Bestehen kann, haben ebenso allgemeine Gültigkeit wie die Mechanismen des Verschweigens und des Verdrängens.

    So endet der Roman auch mit dem Ausblick „Das ist nicht das Ende der Geschichte“.


Sandro Veronesi: „Der Kolibri“

Sandro Veronesis Roman „Der Kolibri“ beginnt mit einer ungewöhnlichen Begegnung: Der Augenarzt Marco Carrera, die Hauptfigur des Buches trifft, auf den Psychotherapeuten seiner Frau, der ihm Fragen nach der Wahrheit stellt.

So erfährt man einerseits, dass es mit Luisa eine große „außereheliche Liebe“ im Leben des Augenarztes gibt, zu der er eine jahrzehntelange Brieffreundschaft aufrecht erhält. Andererseits tritt zu Tage, dass ihn seine Frau schon seit längerem betrügt.

"Es sollte bekannt sein – ist es aber nicht –, dass das Schicksal der Beziehungen zwischen Menschen ein für alle Mal gleich zu Beginn entschieden wird, immer, und dass man, um im Voraus zu wissen, wie die Dinge enden werden, nur zu schauen braucht, wie sie angefangen haben."

"Denn wenn eine Beziehung entsteht, gibt es immer einen Augenblick der Erleuchtung, in dem man auch sehen kann, wie sie wächst, sich zeitlich ausdehnt, zu dem wird, was sie werden wird, und endet, wie sie enden wird – alles zusammen. Man sieht es deutlich, weil in Wirklichkeit alles bereits im Anfang enthalten ist, so wie die Form eines jeden Dings bereits in seiner ersten Erscheinungsform enthalten ist. Aber es handelt sich eben um einen Augenblick, und dann verschwindet dieses Vision oder wird verdrängt, und nur deshalb verlaufen die Geschichten zwischen den Menschen nicht ohne Überraschungen, Schäden, Freude und unerwarteten Schmerz."

  • In vielen relativ kurz gehaltenen Episoden werden wichtige Eckpunkte aus dem Leben von Marco beschrieben: die schwierige Beziehung seiner Eltern, die v.a. den äußeren, gesellschaftlichen Anschein wahren wollten, der Ertrinkungstod seiner Schwester, die abgebrochene Beziehung zu seinem Bruder, die Spielsucht etc.

    Ständig wechselnde Zeitepochen, sind verbunden durch Briefe zwischen Luisa und Marco teilweise auch Briefe an seinen Bruder. Wie ein Mosaik fügen sich die einzelnen Bausteinchen langsam zu einem Gesamtbild, welches sich letztendlich über 3 Generationen hinzieht.

    Die brillante, poetische Sprache ist das faszinierende an diesem Roman und auch das Bindeglied zwischen all den einzelnen Lebensstationen. Die feine Beobachtungsgabe, die teilweise bestehende Detailverliebtheit, ein feiner Humor und psychoanalytische Interpretationen halten eine Spannung aufrecht, die sich bis an den Schluss erstreckt.

    „Es gibt Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang damit abmühen, voranzukommen, Wissen zu erwerben, zu erobern, zu entdecken, besser zu werden, um dann zu erkennen, dass sie immer auf der Suche nach der Vibration sind, die sie in die Welt geschleudert hat […] Und dann gibt es andere, die, obwohl sie sich nicht bewegen, einen langen und abenteuerlichen Weg zurücklegen.“

    In der Enkelin sieht Marco den perfekten Menschen der Zukunft, gesegnet mit Toleranz, Begabung und Empathie. Sein letztes Wirken gilt einzig und allein der Tatsache, diesen neuen Menschen zu unterstützen und ihm alle Möglichkeiten für die Zukunft zu öffnen. Als Marco dann selbst an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt, sieht er für sich den begleiteten Suizid als Lösung für ein würdevolles Sterben.

    „Der Kolibri“ ist ein Buch, das einem auch nachhaltig in Erinnerung bleibt, gerade auch deshalb, weil viele Szenen nur angeschnitten, und nicht bis ins letzte Detail erklärt werden. Somit bleibt der Fantasie des Lesers genügend Platz, die Zwischenräume zu füllen. Manchmal ist man zu Tränen gerührt, dann wieder lässt der Roman seine Leser sehr nachdenklich aber nie langweilig zurück.

    "Du bist ein Kolibri, weil du wie die Kolibris deine ganze Energie dafür verwendest, auf der Stelle zu bleiben. Siebzig Flügelschläge in der Sekunde, um zu bleiben, wo du bereits bist. Du bist großartig darin. Du schaffst es, in der Welt und in der Zeit anzuhalten, Du schaffst es, die Welt und die Zeit um Dich herum anzuhalten, und manchmal schaffst Du es sogar, in der Zeit zurückzugehen, um die verlorene Zeit wiederzufinden, so wie der Kolibri fähig ist, rückwärts zu fliegen."


Alex Schulmann (2021): „Die Überlebenden“
dtv Verlagsgesellschaft

 Ein idyllisches, rot gestrichenes Sommerhaus, einsam an einem See gelegen, von dichten Wäldern umgeben, im Norden Schwedens. Hier verbringen die drei Brüder Nils, Benjamin und Pierre die Ferienmonate.

Magische Naturstimmungen am Wasser, die unheimlichen dunklen Fichtenwälder und das wechselnde Licht der Dämmerung bilden den Rahmen für eine Familiengeschichte, die einen in ihren Bann zieht. Was geschah in diesem Sommer, dass die Brüder heute noch entzweit und belastet?

„Da unten liegt der See, blank und still, gesäumt von Birken unmittelbar am Ufer. Und das Saunahäuschen in dem die Jungen mit ihrem Vater an zahlreichen Sommerabenden schwitzten und von wo aus sie anschließend über scharfkantige Steine ins Wasser stolperten. „Herrlich“, schrie der Vater, wenn er sich hineingestürzt hatte, und der Hall sang über den See, und dann wurde es still, wie es nur hier still sein konnte, an diesem Ort, weit weg von allem anderen, eine Stille, die Benjamin manchmal Angst machte, ihm jedoch manchmal auch das Gefühl gab, alles würde lauschen.“

  • Zwei unterschiedliche Handlungsstränge bewegen sich aufeinander zu. Da ist die Gegenwart, wo sich die drei erwachsenen Brüder am Ort ihrer Kindheit treffen, um den letzten Wunsch der verstorbenen Mutter zu erfüllen, ihre Asche im See zu verstreuen. Hier läuft die Zeit rückwärts, Stunde um Stunde wird der letzte Tag aufgerollt. Parallel dazu wird die Geschichte der Kindheit vorwärts erzählt. Beide Stränge bewegen sich aufeinander zu und bauen eine ungeheure Spannung auf, die bis zur letzten Seite anhält.

    Die Eltern sind beide Alkoholiker, launenhaft mit rasch wechselnden Stimmungen, liebevoll und doch wieder streitbar. Mit diese schwankenden Gemütsfassungen kommen die Kinder unterschiedlich gut zurecht. Nils, der Älteste sondert sich ab, vertieft sich und versucht so dem Familien Alltag zu entgehen.

    Benjamin der Mittlere der drei Brüder ist der sensibelste, der ein feines Gespür für die Gefühlsausbrüche der Eltern entwickelt und unter dem Beziehungskonflikt leidet. Da ist auch etwas Schweres eine Melancholie was in ihm steckt. Er verbringt die meiste Zeit mit Pierre dem jüngsten Bruder, der aufbrausend und cholerisch ist.

    Die schwierige Kindheit schweißt die Geschwister zusammen, es gibt auch viele verbindende, schöne Momente. Immer mehr nähert man sich der zentralen Frage, was ist passiert, was hat die drei Brüder so erschüttert, dass sie jahrelang keinen Kontakt mehr zueinander haben, dass sie als Erwachsene handgreiflich im Umgang miteinander werden, dass sogar die Polizei gerufen werden muss?

    Immer wieder sind es die Naturschilderungen, die als Metapher für das Dunkle, für das Verborgene, für das Verdrängte herhalten. Diese Unfähigkeit Dinge auszusprechen, dieses Hinunter Schlucken, diese stille Verbitterung wird eindrücklich beschrieben, eine Sprachlosigkeit die man auch in vielen Patienten Geschichten wieder findet.

    „Natürlich gab es Dinge, die Benjamin im Nachhinein gerne gesagt oder Fragen, die er gerne noch gestellt hätte. Erinnerungen, die zu sortieren er Hilfe gebraucht hätte, Dinge die er seinen Vater vor langer Zeit hatte tun oder sagen hören und die er immer noch nicht begriffen hatte. Doch sie redeten nicht über Dinge die passiert waren, das hatten sie noch nie getan, weil keiner von ihnen wusste, wie das ging, und vielleicht war es auch nicht nötig, vielleicht war dieses Schweigen das Schönste, was sie gemeinsam erleben konnten, denn da waren nur sie beide, Benjamin und sein Vater…..“

    Alex Schulman ist in Deutschland als Autor bisher unbekannt. In Schweden hat er sich als Blogger, Fernsehmoderator und Autor einen Namen gemacht und eine Handvoll Bücher mit autobiographischem Hintergrund veröffentlicht. Sein Debut Roman „Die Überlebenden“ ist das erste Werk, dass auf deutsch übersetzt wurde.


Richard Wagamese (2021): “der gefrorene himmel”
Karl Blessing Verlag

Richard Wagamese, geboren 1955, gehört zu den bedeutendsten Autoren indigener Abstammung in Kanada. Als Kind alkoholkranker Eltern wurde er in verschiedenen Heimen und Pflegefamilien großgezogen, die ihm eine Beziehung zu seinen indigenen Wurzeln verboten. Alkoholkrank, eine Zeit lang auf der Straße lebend, stand er nahe am Abgrund, ehe sein Interesse an Büchern, am Lesen dazu führte, dass er selbst zu schreiben begann. Er veröffentliche zahlreiche Romane, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. 2017 starb Richard Wagamese.

Der Roman „Der gefrorene Himmel“ ist geprägt von den persönlichen Lebenserfahrungen des Autors und spiegelt gleichzeitig die Geschichte Kanadas wider. Der Ich Erzähler Saul vom Volk der Ojibwe wächst im Norden Kanadas auf. In kurzen Sequenzen erfährt man von dem alkoholkranken Vater, der Reise der Familie zu ihrem entlegenen Stammesplatz am See und dem Sterben des älteren Bruders an Tuberkulose. Die Familie bricht auseinander und Saul Indian Horse (Indian Horse ist auch der englische Originaltitel) landet in einer der Residential Schools.

Hier erfährt man von einem dunklen Kapitel der kanadischen Geschichte. Das System der vor allem katholisch geleiteten Internatsschulen hatte das Ziel, Indianer Kinder zu assimilieren. Durch ein grausiges Züchtigungsregiment wurden sie ihrer Spracheberaubt und von ihrer indigenen Kultur entwurzelt. Die Auswirkungen dieses „kulturellen Genozids“ reichen bis in die Gegenwart: Die Entdeckung hunderter Kinderleichen auf den Grundstücken mehrerer ehemaliger Residential Schools im Juni dieses Jahres verleiht diesem Roman eine traurige Aktualität.

  • Die in einer schnörkellosen, wenig pathetischen und sehr direkten Sprache geschilderten Zustände im Heim sind erschreckend und auf Grund ihrer fast sachlichen Schilderung umso schockierender.

    “Wenn die die Unschuld genommen wird, wenn dein Volk verleumdet wird, wenn die Familie, der du entstammst, beleidigt und bloßgestellt wird, wenn deine Stammesbräuche und-rituale als rückständig, primitiv, barbarisch gebrandmarkt werden, dann betrachtest du dich selbst nicht mehr als menschlich. Das ist die Hölle auf Erden, dieses Gefühl der Unwürdigkeit. Und das haben sie uns angetan.”

    In dieser Welt der Übergriffe und täglichen Misshandlungen entdeckt Saul seine Leidenschaft fürs Eishockey Spiel, welches fortan sein Leben bestimmt. Wie der Autor die Faszination Leichtigkeit und Schönheit dieses Sports beschreibt ist große Erzählkunst, und auch wenn man kein Eishockey Fan ist, bekommt man einen Eindruck von der Bedeutung dieses kanadischen Nationalsports vermittelt, der allerdings nur den Weißen vorbehalten war.

    Auf Grund seiner Fähigkeit, das Spiel mit dem Puck zu lesen und Spielzüge seiner Gegner zu erfassen macht Saul eine steile Karriere, vom improvisierten Spiel an der Schule mit gefrorenen Pferdeäpfeln, über die Turniere der indigenen Mannschaften bis zum Aufstieg in die oberste Liga. Je höher er steigt desto mehr erfährt er rassistische Äußerungen, Provokationen die in immer aggressiverem Spiel und schließlich im Alkoholabsturz kumulieren.

    Wie der Ich Erzähler sich lange vor dem Blick in sein Inneres verschließt, keine Sprache für das erlebte findet, sich eine immer rauere Oberfläche zulegt und gerade daran zu zerbrechen droht ist Lebensliteratur, die einen nicht loslässt und tief berührt.<p>

    „Ein Teil von mir wollte unbedingt die Lücke schließen, die ich zwischen mir und anderen Menschen spürte. Doch dann war da der der größere Teil, der Trennung suchte. Der Teil, in dem eine stille Wut brodelte, die ich nie verloren hatte, und der wusste, wenn davon jemals der Deckel abflog, dann würde ich wahrhaftig allein sein. Endgültig. Für immer. Und dieser Teil behielt immer die Oberhand.“

    Der Weg zurück zu den Orten seiner Kindheit ist auch ein Weg zurück zur ursprünglichen Kultur der Ojibwe. Von seiner Großmutter hat Saul das Wissen um seine Vorfahren, die Fallensteller und Schamanen waren, mitbekommen. Dieses Besinnen auf seine spirituellen Wuzeln hilft ihm schließlich im jetzigen Leben seinen Platz zu finden. Die wilde Natur als Metapher für das Verborgene, das nicht rational erklärbare und mystische , mit der die Ojibwe in Einklang leben und aus der sie ihre Kraft schöpfen bildet den Rahmen für diesen spannenden und tiefschichtigen Roman.


Margret Craven (1976): „Ich hörte die Eule, sie rief meinen Namen“
Rohwolt Taschenbuch Verlag

Mark Brian, ein todkranker junger Geistlicher, wird als Seelsorger in ein entlegenes Indianerdorf an der Westküste Kanadas geschickt. Inmitten der Wildnis lernt er, im Gleichklang mit der Natur zu leben und den Tod als Einmünden in diese Harmonie zu begreifen.

Das ist ein stilles, ein leises Buch. Sinnbildlich erzählt es vom wechselhaften Gang des Lebens.

An literarischen Kriterien gemessen, ist dieser Roman mit dem elegischen Titel ein Meisterwerk. Die ruhige Erzählweise, die gepflegte Sprache, die unaufdringliche Intensität der Beschreibung von Menschen, Situationen, Erfahrungen innerhalb eines uns fremden Lebenskreises, das sind unzeitgemäße Qualitätsmerkmale. (Mannheimer Morgen)

Ein unscheinbares Buch, in das man anfangs ein wenig „hineinwachsen“ muss, das einem im Verlauf aber immer mehr fesselt. Die Naturverbundenheit die hier zur Sprache kommt, in der Tod und Sterben als ein ganz normaler Teil des Lebens wahrgenommen werden, hat etwas ungemein Tröstliches!


Anne Michaels (1996): „Fluchtstücke“
Berlin Verlag

Anne Michaels ist Dichterin. Sie hat als solche zu veröffentlichen begonnen und für ihre 1986 und 1991 erschienenen Gedichtbände "The Weight of Oranges" und "Miner's Pond" Auszeichnungen erhalten. Auch ihr erster Roman mit dem deutschen Titel "Fluchtstücke" enthält Sätze von atemberaubender lyrischer Dichte: Knappheit und Härte der Anfangsseiten ihres Romans üben beim Lesen einen Sog aus, dem man sich nicht entziehen kann: So grauenerregend die Geschichte einsetzt, man will weiterlesen, mehr über das Schicksal des Protagonisten erfahren.

Der siebenjährige Jakob Beer wird Zeuge, wie im Zweiten Weltkrieg Deutsche seine Eltern, polnische Juden, erschlagen und seine ältere Schwester verschleppen. Er flieht und versteckt sich auf dem Gelände einer archäologischen Grabungsstätte. Dort wird er nach Tagen von einem griechischen Forscher gefunden und gerettet. In der Obhut dieses Mannes verbringt er seine Kindheit und Jugend auf einer griechischen Insel, später wandert er mit ihm nach Toronto aus. Jakob wird Autor, wird Dichter und versucht seine Erfahrungen auf diesem Wege zu verarbeiten. Die schrecklichen Bilder seiner Kindheit lassen ihn lange nicht los. Eine erste Ehe scheitert daran, und erst als reifer Mann findet er in der Beziehung zu einer jungen Frau zu einer Art innerer Ruhe. (Klappentext)


 
Palliative Care_Vorarlberg_freestocks-OfaDD5o8hpk-unsplash.jpg

Thomas Sautner (2017): „Die Älteste“
Aufbau Taschenbuch

Thomas Sautner erzählt in „Die Älteste“ von einer Krebstherapie, die nicht durch Chemotherapie behandelt wird, sondern durch Zuwendung zum Gefühl und zur Erde: Was auf den ersten Blick als ausgesprochen heikles Unterfangen anmutet, entpuppt sich dank einer radikal unaufgeregten Sprache als Bericht einer 'wahren Begebenheit' wie der Autor bei mehreren Interviews betont. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen mit markant unterschiedlichen Biografien: Lisbeth als 90jährige Jenische, die in einem Wohnwagen im Waldviertel lebt und einen Ruf als 'Wunderheilerin' hat, auf der einen Seite. Ihr anvertraut ist Sophie, eine Frau in der Mitte des Lebens, die fest in der westlichen Gesellschaft verankert scheint und exemplarisch für viele Frauen den Spagat zwischen Karriere und Familie zu bewältigen versucht. Doch dieses intensive Leben ist von einem Gegner bedroht, für den die sogenannte Schulmedizin keine wirksame Therapie zu bieten hat: Hirntumor.

Wie schon in Sautners Romadebüt „Fuchserde“ nimmt auch in „Die Älteste“ die Kultur der vom Verschwinden gekennzeichneten ethnischen Gruppe der Jenischen eine zentrale Rolle ein. Lisbeth hat das tradierte Wissen der Naturmedizin verinnerlicht. Der Text erzählt jedoch keine Erlösungsgeschichte, sondern die Geschichte einer Irritation, die einen neuen Blick ermöglicht. Sophie bricht mit ausgeprägtem Skeptizismus in das Waldviertel auf, um einen neuen Weg zu versuchen: Was hat sie auch schon zu verlieren? (Ausschnitt aus der (Buchbesprechung von Alexander Peer, Literaturhaus Wien)


NINO Haratischwili (2014): „Das Achte Leben“
Frankfurter Verlagsanstalt

 „Ein großartiger Roman über Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten und über Familienbande, der beim Leser Sogkraft entwickelt und trotz des Umfangs von fast 1300 Seiten nie unübersichtlich wird und auf keiner Seite langweilt.“ (Borromäusverein)

"Ein Solitär in der deutschen Gegenwartsliteratur." (Deutschlandfunk)

Dieser Roman ist über die Literaturwelt gekommen wie ein Naturereignis: ein wuchtiges Familienepos, das am Beispiel von sechs Generationen außergewöhnlicher Frauen das ganze pralle 20. Jahrhundert mit all seinen Umbrüchen und Dramen, Katastrophen und Wundern erzählt. Vom Georgien am Vorabend des Ersten Weltkriegs bis ins Deutschland zu Anfang des neuen Millenniums spannt Nino Haratischwili den Bogen. Alles beginnt mit Stasia, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten. Mit ihrer Geburt setzt die Geschichte ein, die fortan wie ein gewaltiger Strom mit unzähligen Nebenarmen und Verwirbelungen durch Europa zieht und den Leser bis zur letzten Seite in ihrem Sog gefangen hält. Ein unvergessliches, überwältigendes Leseerlebnis.


VELMA WALLIS (1993): „Zwei alte Frauen“, Velma Wallis
Heyne Verlag

Ein Nomadenstamm im hohen Norden von Alaska: Während eines bitterkalten Winters kommt es zu einer gefährlichen Hungersnot. Wie das alte Stammesgesetz es vorschreibt, beschließt der Häuptling, die beiden ältesten Frauen als »unnütze Esser« zurückzulassen, um den Stamm zu retten. Doch in der Einsamkeit der eisigen Wildnis geschieht das Unglaubliche: Die beiden alten Indianerfrauen geben nicht auf, sondern besinnen sich auf ihre ureigenen Fähigkeiten, die sie längst vergessen geglaubt hatten …(Heyne Verlag)


 
annie-spratt-gl7joOaABlI-unsplash.jpg

ARNO GEIGER (2011): „Der König in seinem Exil“
Hanser Verlag

Arno Geiger hat ein tief berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. In nur scheinbar sinnlosen und oft so wunderbar poetischen Sätzen entdeckt er, dass es auch im Alter in der Person des Vaters noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Arno Geigers Buch ist lebendig, oft komisch. In seiner tief berührenden Geschichte erzählt er von einem Leben, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden. (Hansa Verlag)


friederike waller (1988): „Alles ist nur Übergang“
Köpfer und Meyer Verlag

Diese inzwischen als "Standardwerk" gerühmte Sammlung literarischer, philosophischer und religiöser Lyrik und Prosa will einladen und helfen sich ganz bewusst mit der Endlichkeit menschlichen Daseins und dem Phänomen des Todes auseinanderzusetzen. Der umfangreiche Textfundus, vom Gilgamesch-Epos bis ganz in unsere Gegenwart reichend, ist dreifach gegliedert und jedem Teil ist ein profunder Einführungsessay vorangestellt.

Das Kapitel "Leben und Sterben" berücksichtigt Texte, die die Annäherung an die Grenze des menschlichen Lebens und die Ängste des Menschen vor dem Sterben zum Thema haben, es wird von dem Psychiater Hans Heimann eingeleitet.
Das Kapitel "Sterben und Leben" präsentiert vor allem Literatur aus verschiedenen Religionen, die die Hoffnung und den Glaube vermitteln, dass mit dem Sterben nur unsere körperliche Existenz endet und danach "noch etwas auf uns wartet"; die Hinführung in diesen Komplex stammt von dem Arzt und Theologen Dietrich Rössler.

Im dritten Teil "Zeitlichkeit und Wort", den der Literaturwissenschaftler Winfried Barner vorstellt, finden sich Zeugnisse zum Versuch, das Sterben durch das Wort zu bestehen. (Hugendubel, Fachinformation)

Ein Buch mit wunderbaren Textstellen, welches den Umgang mit Sterben und Tod in den unterschiedlichen Epochen und Kulturen widerspiegelt. Zu recht wird diese Textsammlung mittlerweile als Standardwerk bezeichnet.


 
patrick-tomasso-Oaqk7qqNh_c-unsplash.jpg

WOLFGANG HERMANN (2012): „Abschied ohne Ende“
Langen Müller Verlag

„Ein Morgen, kaltes Winterlicht. Ein Mann, alleinerziehender Vater, betritt das Zimmer seines 16-jährigen Sohnes und findet ihn tot im Bett liegend. Fassungslos irrt er fortan durch sein Leben, versucht die Ohnmacht und den Tod zu bewältigen. In seiner Erzählung spricht Wolfgang Hermann von der Wehmut, dem Schmerz und den Bemühungen, die gemeinsame Zeit erinnernd aus der Vergangenheit zu holen und im Jetzt spürbar werden zu lassen. Mit seiner filigranen, poetischen Erzählweise vermittelt der Autor Trost auch im Schrecken und lässt die Hoffnung aufleuchten.“ (Beschreibung Umschlagtext)

Eine zutiefst traurige Geschichte, bei manchen Passagen kommen einem die Tränen, und gleichzeitig ist man fasziniert von der Poesie und der Ausdruckskraft dieses Buch, selten dass man die Trauer so direkt mitfühlen kann, und doch verzaubert ist, von der Kraft der Worte


ROBERT GERNHARDT (2006): „Später Spagat“
Fischer Verlag

"Die Gedichte dieses Bandes entstanden - von leicht erkennbaren Ausnahmen abgesehen - in den letzten drei Jahren. Dies gilt für den Inhalt beider Abteilungen. 'Später Spagat' versucht noch einmal jene Verbindung von Standbein und Spielbein, Ernstbein und Spaßbein, Verschlüsselbein und Entschlüsselbein, die bereits das Ziel meiner vorherigen Gedichtbände gewesen ist. Nur dass ich diesmal die Aufsatzpunkte des Spagats so reinlich als es ging geschieden habe, wohl wissend, dass auch dieser Spagat eine Mischung wird überbrücken müssen oder doch zumindest können: Jedes noch so ernst gedachte Gedicht kann beim Leser eine untergründige Freude daran erwecken, dass es dem Autor gelungen ist, Worte für das Schwersagbare zu finden. Zugleich vermag der gleiche Leser die Ernsthaftigkeit wahrzunehmen, mit welcher der Autor versucht hat, seinen heiteren Gebilden eine gewisse Dauer zu verleihen. Ob mir diese Mischung geglückt ist? Darüber mögen andere befinden." (Robert Gernhardt, Klappentext)